Von dieser Art stammen alle verschiedenen Formen der Hausgans ab, und als Vorfahre der Hausgans ist auch die Graugans leicht zu zähmen. Die Graugans ist gesellig, aber sehr laut und ein praktischer Allesfresser.
Erkennungsmerkmale / Aussehen
Die Graugans Anser anser ist nach der Saatgans unsere zweitgrößte, einheimische Gänseart. Ausgewachsen erreicht sie eine Körperlänge von etwa 80 bis maximal 90cm, die Flügelspannweite beträgt ca. 150 bis 180cm. Die Ganter wiegen zwischen 3 und 4kg, die Weibchen sind mit 2,0 bis 3,5kg etwas leichter.
Das Gefieder ist hellgrau ohne braune Farbanteile. Die Graugans ist etwas heller grau als die anderen, ebenfalls im Grundton grau-gefärbten Gänsearten, die Saatgans und die Kurzschnabelgans. Die Bauchseite der Graugans ist schwarz gefleckt. Der klobige, relativ große Schnabel ist fleischfarben bis orangerot mit einem weißen Nagel an der Spitze.
Der Schnabel der Jungvögel ist zuerst grau, wird aber später gelblich. Die Füße der Jungvögel sind olivgrau – im Gegensatz zu den fleischfarbenen Füßen der Altvögel.
Graugänse machen sich mit einem nasalen „ong ong“ bemerkbar oder sie trompeten mit lauter Stimme. Insgesamt kann die ruf-freudige Graugans über mehr als 12 verschiedene Laute verfügen. Graugänse können ein Lebensalter von 17 Jahren erreichen.
Fortpflanzung und Entwicklung
Graugänse sind monogam: Haben sie den richtigen Partner gefunden, bleiben sie ein Leben lang zusammen. Das geht manchmal so weit, dass, wenn ein Partner stirbt, der andere bis zu seinem Lebensende als Witwe/Witwer allein bleibt. Andere suchen sich stattdessen einen neuen Partner.
Mit der Partnersuche beginnen sie im zweiten Lebensjahr und zwar im Herbst/Winter. Sie leben dann aber noch zwei weitere Sommer zusammen – sozusagen auf Probe als „Verlobte“. Im vierten Lebensjahr brüten sie schließlich zum ersten Mal.
Auch homosexuelle Beziehungen zwischen zwei Gantern kommen bei den Graugänsen vor. Sie suchen in der Fortpflanzungszeit gemeinsam ein Weibchen, mit dem sie sich jeweils beide paaren. Während der Brutzeit übernimmt eines der Männchen eine dominante Rolle. Danach verlassen sie das Weibchen wieder und führen ihre Homoehe fort.
Brutzeit
Graugänse brüten vor allem in der Schilf- und Riedzone von Seen.
Die Brutzeit fällt in den Zeitraum Ende März bis Mai. Das Nest wird ausschließlich vom Graugans-Weibchen angelegt – wenn der Untergrund feucht ist, dann meist auf einem etwas erhöhten Platz z. B. in einem größeren Schilfbestand. Dort wo das Nest errichtet werden soll, wird das Schilf niedergetrampelt und anschließend die einzelnen Schilfhalme zu einem Haufen aufgeschichtet. Ist der Boden dagegen trocken, dann wird nur eine flache Nestmulde angelegt und lediglich mit Daunen etwas ausgepolstert. Das Nest kann einzeln liegen; Graugänse können aber auch in einer lockeren Kolonie brüten.
Es werden zwischen 4 und 6, maximal bis zu 10 Eier gelegt. Das kann eine Zeitlang dauern, denn meist wird nur ein Ei pro Tag gelegt. Die Eier sind ca. 8,5cm groß und haben eine einheitliche weiß-blass gelbliche Farbe. Sobald das letzte Ei gelegt ist, beginnt das Weibchen mit dem Brüten. Währenddessen bewacht und verteidigt der Ganter das Nest und zwar in einiger Entfernung, um den Nistplatz nicht zu verraten. Nähert sich dann noch einmal ein Nesträuber, dann wird das Nest von beiden verteidigt durch Gezische, Beißversuche und indem sie mit den Flügen um sich schlagen. Die Brutzeit beträgt 27 bis 28 Tage.
Die Gössel bleiben an ihrem ersten Lebenstag noch im Nest, dann verlassen sie es regelmäßig und werden dabei von beiden Eltern geführt. Nur nachts kehren sie ins Nest zurück. Wie alle Entenvögel so werden auch die jungen Graugänse am ersten Tag für ein Leben lang auf die Eltern, die sie als Gänse zuerst erblickt haben, geprägt.
Es kann bis zu 2 Monate dauern, bis die Jungvögel flügge sind. Die Eltern sind dann noch in der Mauser und werden daher etwas später wieder flugfähig. Die Jungvögel sind Nestflüchter und haben deshalb genug Zeit, sich in eigenen Flugmanövern zu versuchen und ihr Flugvermögen zu optimieren bis zum Aufbruch zusammen mit den Altvögeln zum Vogelzug in die Winterquartiere.
Auch nach der Rückkehr aus den Winterquartieren bleiben sie bis zur nächsten Brutsaison bei ihren Eltern und halten sie auch danach noch in der Nähe ihrer Familie auf und halten Rufkontakt. Denn die Familienmitglieder erkennen sich vor allem an charakteristischen Ruflauten.
Lebensweise
Wenn sie die Möglichkeit dazu finden, legen Graugänse ihre Nester im Schilfgürtel der Seen an. Sie können aber auch auf Nistplätze in Moorgebiete, auf Inseln in Flüssen und Auenlandschaften ausweichen.
Abgesehen von den Zugrouten zwischen Brutgebiet und Überwinterungsquartier begeben sich die nicht-brütenden Graugänse auf einen Mauserzug. Dabei sammeln sie sich in großen Schwärmen an bestimmten Mauserplätzen. Einer der wichtigsten Mauserplätze seit vielen Jahrzehnten sind die Oostvaardersplassen in der niederländischen Provinz Flevoland. Dabei handelt es um das größte auf Meereshöhe liegende Riedmoorgebiet in Mitteleuropa, in dem sehr viele Vögel brüten oder überwintern.
Fühlen sich Graugänse wohl, dann merkt man es ihnen auch an. Sie tauchen dann gerne mal ab oder schlagen im Wasser einen Purzelbaum, sodass sie dann in der entgegengesetzten Richtung wieder auftauchen und weiter schwimmen.
Graugänse können sehr gut sehen und hören. Außerdem können ist die Innenseite des Schnabels sehr tastempfindlich. Das gilt auch für die domestizierten Hausgänse. Sie sind ausgesprochen wachsam und sollen bereits in der Antike eingesetzt worden sein, um das Kapitol in Rom zu bewachen. Auf dem östlichen Balkan werden sie teilweise zum Bewachen von Schafherden eingesetzt.
In Norddeutschland sind sie auf den Deichwiesen allerdings von den Schäfern nicht gerne gesehen, weil sie mit ihrem Kot die Flächen für das Weidevieh verunreinigen. Und mit dem Kot können Parasiten und andere Krankheitserreger übertragen werden.
Eine ähnliche Erscheinung sind die sogenannten Kippflügel. Die Fehlhaltung der Flügel entsteht ebenfalls durch Fehler in der Ernährung, meist durch zu proteinreiche Nahrung. Dann entwickeln sich die Schwungfedern schneller als die Knochen und Muskulatur der Handschwingen, die durch das Gewicht der Federkiele nach unten gezogen werden. Im Lauf der weiteren Entwicklung festigt sich dann diese Fehlstellung.
Ernährung
Graugänse leben vegetarisch. Ihre Nahrung – vor allem Gräser und Kräuter, Getreide, aber auch Beeren, Kartoffeln und sogar Wurzeln – suchen sie vorzugsweise an Land. Daneben nehmen sie auch immer wieder kleine Steinchen und Sand mit auf; wahrscheinlich hilft ihnen das, die Nahrung leichter zu verdauen. Sie können zwar auch beim Schwimmen nach Nahrung suchen, gründeln aber nicht nach Wasserpflanzen wie andere Entenvögel. Nahrung finden sie auf abgeernteten und neu angesäten Feldern, die oft weit entfernt von ihren Brutplätzen liegen können.
Sie suchen aber nur Flächen mit niedrigem Bewuchs zum Fressen auf, vor allem Weideflächen, wo sie sich sicher sind vor plötzlichen Angriffen durch Raubvögel. Fühlen sich die Graugänse des Öfteren beim Fressen gestört, dann verlegen sie die Nahrungssuche in die Nacht. Denn Graugänse können tag- und nachtaktiv sein.
Zugverhalten und Zugziele
Die Brutgebiete der Graugans reichen in einem breiten Band von Island über die britischen Inseln und Skandinavien bis Ostasien. In Asien wird sie punktuell von der Unterart Anser anser rubirostris abgelöst.
Graugänse, die in Mitteleuropa brüten, ziehen im September/ Oktober über Frankreich Richtung Portugal und Spanien, wo sie dann auf der Iberischen Halbinsel überwintern – z. B. im Mündungsgebiet des Guadalquivir. Sie ziehen zum Teil aber auch weiter bis an die Mittelmeer-Küste Algeriens und Tunesiens.
Graugänse, die Nordeuropa brüten, vor allem in Island, wechseln dagegen an die Ostküste Irlands, Teilen Schottlands und in den Südwesten von England, aber auch entlang der Nordseeküste, um dort zu überwintern. Generell ist zu beobachten, dass Brutplätze auch immer weiter Richtung Nordeuropa aufgesucht werden. Regional werden die Graugänse auch zu Standvögeln und verlassen ihre Brutreviere auch im Winter nicht mehr. Dieser Trend nimmt besonders in den Niederlanden und in Deutschland zu.
Die Zugrouten der Graugänse sind nicht genetisch festgelegt, sie folgen dabei also nicht ihrem Instinkt. Sie werden vielmehr von den Altvögeln, die bereits mehrmals im Leben den Vogelzug mitgemacht haben, an die nächste Generation weitergegeben.
Die mitteleuropäischen Graugänse kehren nach und nach ab Anfang März zu ihren Brutplätzen zurück.
Anfang der 1970 erreichte der europaweite Bestand der Graugänse mit ca. 20.000 Individuen seinen Tiefpunkt, vor allem durch intensive Bejagung. Mitte der achtziger Jahre hat sich der bestand wieder auf ca. 170.000 Vögel erholt un heute beträgt er schätzungsweise mehr als 250.000 Graugänse. Dadurch werden die langjährigen Brutgebiete nicht nur intensiver genutzt, es sind auch viele neue Brutplätze hinzugekommen. Außerhalb der Paarungs- und Brutzeit bilden die Graugänse große Schwärme.
Tipps zur Vogelbeobachtung
Die Graugans ist bei uns in Nord-, Süd- , West und Ostdeutschland an natürlichen Seen, Stauseen, Baggerseen, Flüssen mit Altwässern und Parkseen anzu treffen. In Deutschland Jahresvogel, Zugvogel und Wintergast.