Um den Namen der Weißwangengans (Branta leucopsis), auch Nonnengas genannt, gibt es einige internationale Verwirrung. So wird sie zum Beispiel in den Niederlanden Bergeend (= Brandgans) genannt, während die Bergente auf Holländisch Topperend heißt. Im Englischen heißt die Weißwangengans Barnackle Goose (= Entenmuschel-Gans), weil man im Mittelalter dachte, diese Gans wüchse auf Bäumen und die gelegentlich an den Küsten angespülten, abgebrochenen Zweige, die mit Entenmuscheln bewachsen waren, seien die abgebrochenen Zweige dieser Gänse-Baume.
Erkennungsmerkmale / Aussehen
Die Weißwangengans gehört zur Gattung der Meergänse (Branta). Sie ist mittelgroß, hat eine Körperlänge von durchschnittlich 63cm (58 bis 70cm) und eine Flügelspannweite zwischen 120 und 142cm. Die Männchen der Weißwangengans wiegen etwa 2,2kg, die Weibchen mit durchschnittlich 1,6kg deutlich weniger. Im Flug erscheint die Weißwangengans von oben blaugrau bis schwarz, auf der Bauchseite weiß gefärbt. Von unseren anderen beiden Meergänsen, der Kanadagans und de Ringelgans, ist sie jedoch vor allem anhand der Kopfzeichnung eindeutig zu unterscheiden:
Im Gegensatz zu den beiden anderen Meergänsen ist auch die Stirn der Weißwangengans weiß, und ihre Kopfform ist deutlich gedrungener als die der Kanadagans und der Ringelgans. Der Hals der Weißwangengans ist vergleichsweise kurz und einheitlich schwarz gefärbt.
Vom schwarzen Hals wiederum sind die weiße Brust und Bauchseite deutlich abgesetzt. Der Rücken ist dunkelgrau mit einer helleren, grauen Bänderung. In der Gefiederfärbung unterscheiden sich Ganter und Gänse der Weißwangengans nicht voneinander.
Ein weiteres Erkennungsmerkmal der Weißwangengans ist ihre enorme Lautstärke, von der sie vor allem Gebrauch macht, wenn sie im Schwarm fliegt. Ihr lautes „gnak gnak“ oder „gnach“ hört sich fast anhand wie Hundegekläff.
Fortpflanzung und Entwicklung
Die Brutreviere der Weißwangengänse der russisch-baltischen Population liegen ursprünglich an der Eismeerküste Russlands. Aber dies Brutgebiet hat sich inzwischen weiter westwärts bis Spitzbergen, Island und Grönland ausgedehnt, und auch an den Schleswig-Holsteinischen Küsten von Nord und Ostsee kommen bereits einzelne Brutpaare vor.
Weißwangengans brüten nur auf Inseln. Wenn möglich, versucht die Weißwangengans ihr Nest vor Polarfüchsen, Raubmöwen, Schneeeulen und anderen Feinden und Nesträubern geschützt in Felsen oder zwischen Geröll an Steilhängen anzulegen. Manchmal brüten die Weißwangengans auch mitten in einer Kolonie von Trottellummen. Wird das Nest in einer ganzen Brutkolonie von Weißwangengänse angelegt, dann wird darauf geachtet, dass ein Mindestabstand von Nest zu Nest von 2m strikt eingehalten wird.
Im Laufe der Brutsaison bildet sich ein deutlicher Wall aus Kot rund um das Nest. Da Weißwangengänse ihren angestammten Nistplatz möglichst Jahr für Jahr wieder benutzt, bildet sich band dank der intensiven Düngung mit Vogelkot ein dichter, grüner Ring aus Gräsern und anderen Pflanzen.
Die Brutsaison fällt in die Zeit von Ende Juni bis Ende Juli. Zunächst ziehen die Weißwangengänse paarweise umher, schließen sich aber dann einer Brutkolonie an.
Das Nest wird nicht besonders ausgepolstert oder nur sehr spärlich mit Pflanzenmaterial ausgelegt. Das Gelege wird jedoch später mit Dunen so dicht abgedeckt, dass das Nest von außen wie eine graue Halbkugel aussieht.
Es werden zwischen 3 und 6 creme-farbene Eier gelegt, die ca. 7cm lang sind. Erst nachdem das letzte Ei gelegt, beginnt die Gans mit dem Brüten. Das Gelege wird ca. 3 ½ Wochen bebrütet.
Der Ganter beteiligt sich – wie bei den meisten anderen Wildgänsen auch – weder am Nestbau noch am Brüten. Er hält sich stattdessen in der Umgebung des Nistplatzes auf, um Wache zu schieben und vor angreifenden Feinden zu warnen.
Nicht nur durch Nesträuber sind die Eier und Küken bedroht. In der Arktis muss auch im Sommer mit Frosttagen, Schneestürmen und ähnlichen Wetterstürzen gerechnet wird, die einen Teil der Brutbestände vernichten können.
Auch die Küken der Nonnengänse sind Nestflüchter. Wenn die Gössel zum ersten Mal das Nest verlassen, müssen sie den Sprung vom Nistplatz oft bis zu 20m in die Tiefe wagen, um ihr erstes saftiges Gras fressen zu können. Dabei besteht die Gefahr, dass sie sich unten beim Aufprall das Genick brechen. Oder sie werden auf dem Rücken der Eltern getragen oder von ihnen im Schnabel gepackt.
Lebensweise
Wie viele andere unsere Gänsearten, gehen auch die Weißwangengänse in ihrem zweiten Lebensjahr eine lebenslange Partnerschaft ein. Allerdings paaren sie sich erst nach einem weiteren Lebensjahr zum ersten Mal und pflanzen sich sofort. Stirbt ein Partner, dann sucht der oder die Überlebende einen neuen Partner. Dabei werden vor allem erfahrene Witwer oder Witwen bevorzugt.
Ein Ganter genießt dann in seiner Familie und im Schwarm ein besonderes Ansehen und bekleidet einen höheren Rang, wenn bereits sein Vater und dessen Familie eine führende Rolle innehatte.
Außerhalb der Paarungs- und Brutzeit leben die Weißwangengänse in großen Schwärmen. Nonnengänse können bis zu 15 Jahre alt werden.
Ernährung
Die Weißwangengans ist zwar eine in Küstennähe lebende Meergans. Sie ist aber auf eine salzarme Ernährung angewiesen, da ihr funktionsfähige Salzdrüsen fehlen, wie sie beispielsweise die Ringelgans hat. Selbst um Süßwasser zu trinken, muss sie deshalb oft weite Strecken landeinwärts fliegen.
Dann ernährt sie sich im Hinterland der Küsten von Rispen- und Weidelgras und wechselt im Frühjahr zum nährstoffreicheren Rotschwingelgras, welches auf den Salzwiesen z. B. auf den Halligen Nordfrieslands wächst. Diese Salzwiesen sind dann durch die zahlreichen Niederschläge während des Herbstes so stark ausgesüßt, dass sie auch für die Nonnengänse als Futter verwertbar sind.
In ihren Brutrevieren der arktischen Tundra ernähren sich die Weißwangengänse aber vor allem von Moosen und Flechten, Gräsern und jungen Trieben, von allem was die karge Tundra zu bieten hat.
Inzwischen überwintern mehr als 1,4 Millionen Weißwangengänse der russisch-baltischen Population im Wattenmeer der Nordsee. Dort versuchen sie sich dann vom Wintergetreide im Hinterland zu ernähren; deshalb stoßen sie bei vielen Landwirten Norddeutschland nicht unbedingt auf „Gegenliebe“!
Verbreitung, Zugverhalten und Zugziele
Die Brutreviere der Nonnengans waren lange Zeit auf die Arktisregion des Russischen Eismeeres beschränkt. Aber sie haben sich nach und nach immer weiter auch nach Westen ausgebreitet.
Auch Spitzbergen, Island und Grönland, Kanada und die USA werden inzwischen als Brutgebiete von den Weißwangengänse genutzt. Von den Populationen auf Grönland überwintern etwa 80.000, von Spitzbergen ca. 40.000 Weißwangengänse an den Küsten Irlands und Schottlands. Die Weißwangengänse Nordamerikas fliegen dagegen südwärts in ihre Winterquartiere. Allerdings werden sie dabei auf ihrem Vogelzug hemmungslos bejagt.
Die Weißwangengänse der russisch-baltischen Population, die seit etwa 40 Jahren teilweise auch auf Gotland und anderen Ostseeinseln brüten, überwintern vor allem den Küsten des Wattenmeeres und in den Niederlanden. Es sind inzwischen etwa 1,4 Millionen Weißwangengänse, die hier überwintern. Auf ihrem Rückflug in die Sommerquartiere suchen die Weißwangengänse im Frühjahr zwischen März und Mai Rastplätze am schleswig-holsteinschen Wattenmeer auf; genauso wie auf ihrem Flug im Oktober/November in ihre Überwinterungsgebiete.
Allerdings nimmt die Zahl der Weißwangengänse, die solche Rastplätze suchen, ab. Denn mit der Ausdehnung der Brutgebiete Richtung Westen, haben sich die Zugstrecken zwischen Brut- und Überwinterungsplätze deutlich verkürzt, sodass viele Schwärme der Weißwangengänse ihre Ziele im Non-Stop-Flug erreichen können, ohne dass sie eine Zwischenrast einlegen zu müssen.
Nachdem die Nonnengans durch die weltweite Bejagung fast ausgestorben war und in den 1950-ziger Jahren der Bestand weltweit auf nur noch 15.000 Weißwangengänse geschrumpft war, wurde sie in vielen Regionen unter ganzjährigen Schutz gestellt. So ist die Zahl der Weißwangengänse inzwischen wieder auf fast 900.000 Tiere weltweit angewachsen.
Da sich der Bestand der Weißwangengänse als Wintergäste auch bei uns in Deutschland stark vermehrt hat und parallel dazu in der Landwirtschaft der Anteil an Wintergetreide wächst, welches die Nonnengänse längst sich für als nährstoffreiche Nahrungsquelle entdeckt haben, musste es unweigerlich zum Konflikt zwischen Landwirten und Nonnengänse, bzw. Vogelschützern kommen. Deshalb wird der Ruf unter den Vertretern der Landwirtschaft lauter, Weißwangengänse zum Abschuss freizugeben, um den Bestand so wieder auf ein „landwirtschaftlich verträgliches Maß“ zu reduzieren. Der Naturschutz möchte dagegen das Überwinterungsgebiet der Nonnengänse in sogenannte „Go“ und „No Go-Areas“ aufteilen. Fällt uns eigentlich wieder einmal nichts anderes ein? Wäre es vielleicht nicht sinnvoller, die Zahl der Felder mit Wintergetreide zu reduzieren und den betroffenen Landwirten dafür eine angemessene Entschädigung zu zahlen? Oder versucht sich hier wieder einmal die alte Leidenschaft der Wasservogeljagd nach Gutsherrenart Bahn zu brechen?
Tipps zur Vogelbeobachtung
Inzwischen bleiben aber auch viele Weißwangengänse das ganze Jahr am Wattenmeer und brüten auch bei uns, vor allem an der Westküste Schleswig-Holsteins, auf einigen Inseln Nordfrieslands und sogar vereinzelt am Plöner See.
An vielen Plätzen entlang der Wattenmeerküste ist die Weißwangengans inzwischen der häufigste Wintergast unter den Wildgänsen. Oft bilden sie dabei lokale Kolonien von mehr als 1.000 Tieren.
Zum Überwintern stoßen die Weißwangengänse Jahr für Jahr weiter auch ins Binnenland vor. Auch das Dümmer-Gebiet wird dazu regelmäßig angeflogen. In den letzten Jahren wurden in der Dümmerniederung bis zu 330 Weißwangengänse in den Wintermonaten gezählt.